Stronachs Sehnsucht nach der Giftspritze mehrheitlich abgeschmettert

7. September 2013

(Wien, im September 2013) Frank Stronach verkauft Werte und ein Wert war im September 2013 wertlos. Er überraschte am 4. September 2013 in einem Vorab-Aviso zu einem am Folgetag in den „Vorarlberger Nachrichten“ erscheinenden Interview die geneigte Öffentlichkeit mit der Ankündigung, dass er sich die „Todesstrafe für Berufskiller“ vorstellen kann. Der Happen wurde von den Medien willig aufgeschnappt und stand bereits ab 20 Uhr abend auf allen Portalen zu lesen. Am 5. September 2013 schickte die Partei des Stronach, sein „Team“, ein Video auf den Weg, das eine Minute dauert und von seiner persönlichen Assistentin Nachbaur gesprochen wird. Eine Minunte lang wird dargelegt, dass es sich um die Privatmeinung des Frank Stronach und nicht des „Team Stronach“ handelt. Man sei natürlich nicht für die Todesstrafe und dieser kulturelle Richtwert, der kein Wert ist, komme nicht ins Parteiprogramm. Das Video hatte am ersten Tag auf „You Tube“ schon 6.100 Zugriffe, was wieder ein Wert ist.

Es mag der transatlantischen Prägung des Frank Stronach geschuldet sein, dass er die „Todesstrafe“ kulturell tiefer inhaliert hat als Westeuropäer diese aus Büchern kennen. Dennoch schützt Ahnungslosigkeit nicht vor Häme, die auf den 4. September 2013 folgte. Stronach will bekanntlich in die Geschichtsbücher eingehen. Der Tag wird eingehen als jener, als zum ersten Mal seit 63 Jahren ein Politiker in einem Wahlkampf die Wiedereinführung der Todesstrafe forderte.

Die Forderung ist in zweifacher Hinsicht falsch. Zum Einen setzt ein Politiker seine vermeintlich hohe Ethik aufs Spiel, weil er mit solchen Killerargumenten am Trafikanten-Stehtisch Wählerstimmen fischen will. Am Trafikanten-Stehtisch wird viel geredet und behauptet, das, würde alles umgesetzt, rasch die von Herrn Felix Baumgartner geforderte „gemäßigte Diktatur“ ergibt. Setzt ein Politiker die ethische Latte für sich hoch an, muss er den Plan verfolgen auch die Ethik der Wähler höher zu bringen und nicht so tief zu legen, dass man unter dem Teppich Schnurspringen kann. Ein guter Ratgeber sind dann auch nicht Studien der Grazer Franzens-Universität, der zufolge 16% der Österreicher (und hoffentlich nicht nur Steirer) für die Todesstrafe sein sollen.

Auftraggeber der Berufskiller gefährlich

Der zweite Kritikpunkt betrifft die glatte inhaltliche Fehlleistung. Frank Stronach empfahl die „Todestrafe für Berufskiller“. Dieses Journal grübelte, was er damit meint. Meinte Stronach es tatsächlich Ernst mit seiner Sehnsucht nach der Giftspritze, müsste er die „Todesstrafe für Auftraggeber von Berufskillern“ fordern. Diese sind die gefährlichen Personen. Passt man das Stronach-Todesstrafen-Modell der österreichischen Gesetzgebung an, das den § 12 StGB kennt und in Bestimmungstäter, Ausführungstäter, Beitragstäter unterscheidet, kommt man auf drei Personen, die im Spiel wären: a. Der Auftraggeber des Berufskillers, b. Das „Werkzeug“, der Berufskiller selbst und c. der Chauffeur, der den Berufskiller, der eine schwere Tasche mit seinem Gewehr zu tragen hat, zum Tatort bringt. Klar ist, wer nach der heimischen Rechtsordnung am Härtesten bestraft wird: Der „Bestimmungstäter“, der Auftraggeber des Berufskillers. Gefolgt vom „Ausführungstäter“, dem Berufskiller, gefolgt vom „Beitragstäter“, der Chauffeur, Unterkunftsgeber oder einfach nur Mitwisser am geplanten oder vollendeten Mord sein kann. In der heimischen Rechtssprechung gibt es die – Daumen mal Pi – 150-100-50%-Regel. Der Bestimmungstäter bekommt 50% mehr Haft als der Ausführungstäter, der Beitragstäter 50% weniger.

Wenn Stronach schon dem Ausführungstäter die „Todesstrafe“ umhängen möchte, bleibt kein „Spielraum nach oben“ für den Bestimmungstäter. Daher ist Stronachs Konzept eine unangepasste, nicht dem heimischen Rechtsrahmen angepasste, daher falsche Theorie. Er müsste, wenn schon, dem Bestimmungstäter des Berufskillers die Todesstrafe geben, hingegen dem Berufskiller selbst nur Lebenslang. Das wäre die richtige Abstufung.

Stronachs Sehnsucht nach der Giftspritze wurde in Österreich mehrheitlich abgeschmettert. Alle Meinungsführer in Medien waren gegen das Verlassen des „gesellschaftlichen Grundkonsenses“, dass es in den Grenzen des Friedensprojektes EU keine Todesstrafe gibt.

Marcus J. Oswald (Ressort: Rechtssysteme, Todesstrafe)

Intern – Artikel 3.771 Mal gelesen

23. August 2011

(Wien, im August 2011) Es ist fast wie in alten Zeiten (Blaulicht und Graulicht I, 01/2005 – 02/2007, 1.490 Artikel und Blaulicht und Graulicht II, 04/2008 – 03/2010, 968 Artikel). Damals waren jeweils auf einer zentralen Domain und Webseite in vielen Schattierungen die Themen Sicherheit und Schwerkriminalität, Rotlicht und Wien, Suchtgift und Gefängnis, Mord und Totschlag, käuflicher Anwaltsstand, korrupte Wirtschaft sowie Väterrechte vereint. Das brachte im Tagesschnitt 2.800 Zugriffe, manchmal auch – bei spannenden Themen – 4.500 Seitenaufrufe. Alle Beiträge erfolgten in Eigensprache. Auf das „Nachdrucken“ von Aussendungen und Pressediensten wurde stets verzichtet.

Tirpitz-Schicksal

Mit einem schweren Tanker in den Krieg zu ziehen, der Öffentlichkeit als vierte Säule des Gemeinwesens zu dienen, hat aber den Nachteil wie es Hitler mit der Tirpitz geschah. Sie ging unter dem schweren Beschuss der Briten unter. Das geschah zwei Mal. Einmal im Feber 2007 ohne jede Vorwarnung: Der Provider in Wien 17 verwies auf erhöhten Arbeitsaufwand mit der Webseite. Ohne eine einzige Gerichtsverhandlung schloss er die Seite. Einmal 2010: Ein übergeschnappter Anwalt in jungen Jahren meinte Berichterstattung über sich verbieten zu können – und fand einen willfährigen Richter namens Alexander Sackl vom Handelsgericht. Und aus die Maus.

Neustart

Für Mai 2010 wurde der Neustart von „Blaulicht und Graulicht“ reloaded in einer neuen Fassung versprochen und seit 2. Mai 2010 wurden aus einer einzigen Großwebseite, die nach zwei Jahren jeweils 800.000 Zugriffe und allerbeste Google-Präsenz hatte, mehr als zwölf kleine Schiffe mit eigenem Namen und Baugerüst gemacht, die aus der Werft in See gelassen wurden. Die Übersicht auf das ganze Terrain hat der Leser nun nicht mehr. Der Leser? Nun, er ist wie eine „untreue Ehefrau“: Er legt sich einen Monat mit dem und einen Monat mit dem anderen ins Bett. Der Tagesleser ist nicht soo wichtig. Wichtig sind die Suchmaschinenplatzierungen, damit man findet, was man sucht. Substanz, Echtheit, Fakten, Wahrheit. Diese Kriterien zählen. Kein Meinungsbrei und ständiger Positionenwechsel mit günstigem Wind. Der Herausgeber der diversen Seiten hat als General schon noch den Überblick, er ist „textstark“, weiß, was auf welchen Seiten steht und verknüpft es. „Google“ ist sowieso beachtlich merkfähig.

Lastenverteilung

Die Lastenverteilung auf zwölf und mehr Füßen hat strategischen Hintergrund, dass durch eine einzige Einstweilige eines Übergeschnappten, die ein übergeschnappter Richter bewilligt, nun nicht gleich wieder 4.000 Arbeitsstunden den Bach hinunter gehen. Sowohl bei B&G I wie bei B&G II gingen jeweils 4.000 Arbeitsstunden verloren. Das war für jeweils zwei Jahre Online-Stellung das ganze Leben des Herausgebers, das ein Richter mit einem Wisch der Republik Österreich per Knopfdruck auslöschte. Möglicherweise, ganz sicher sogar, speist sich aus diesen leidigen Erfahrungen der mariannengrabentiefe Hass des Blaulicht und Graulicht-Mannes Marcus J. Oswald auf die arrogante Richterdiktatur, oder das, was man scheinheilig Rechtsstaat nennt. Ein Richter sagte einmal: „Herr Oswald, ich finde ihre Ausführungen und Eingaben zum Thema Meinungsfreiheit beeindruckend. Ich kann aber trotzdem nicht für sie entscheiden.“ Wie gesagt: Ob man 4.000 Arbeitsstunden in jeweils zwei Jahre Online-Stellung investiert, ist einem Richter egal. Non-profit-Arbeit als gesellschaftlicher Wert? Hat ein Richter noch nie gehört, ist ihm fremd. In diesen zwei Phasen (2005-2007, 2008-2010) ordnete der Herausgeber der B&G-Seiten den Webseiten alles unter: Er arbeitete bis täglich vier Uhr morgens an ihnen, schlief neben ihnen ein (manchmal gar nicht, weils so spannend wurde) und wachte neben ihnen auf. Es gab keine Ehefrau, keine Freundin, kein Haustier, keine Zimmerpflanze. Nur der Bildschirm und Du im inneren Dialog. Nur die Webseiten B&G I und B&G II. Dem Aufbau der Seiten und dem Einschießen von eigensprachlichem „Content“ wurde alles untergeordnet. Es war eine Menge Arbeit, die einen Richter, der vom Staat bezahlt wird, nicht schert.

Stehaufmännchen-Image kraftraubend

Fraglos ist es nach zwei feigen Tiefschlägen nicht ganz so einfach, ein drittes Mal Stehaufmännchen zu spielen. Die beiden ersten Versionen waren nach zwei Jahren „Vorlaufzeit“ drauf und dran ökonomisch erfolgreich zu werden. Die Seitenpräsenz war hervorragend, die Seite (II) wurde sogar in Tageszeitungen zitiert, auch in ausländischen Tageszeitungen. Zwei Einladungen in den „Club 2“ folgten, beide wurden abgelehnt, weil der Herausgeber von „Blaulicht und Graulicht“ nicht ins Fernsehen geht. Mit dem Umbruch und Neustart im Mai 2010 konnte das nicht mehr wiederholt werden. Zum einen war die Kraft kurz weg. Dann zehrten zahlreiche gerichtliche Auseinandersetzungen rund um B&G II (und mit der Ex-Lebensgefährtin, was eine andere Story wäre), da jede Gerichtsbanalität Kreativität abtötet. Freilich muss die Meinungsfreiheit hart erkämpft werden. Daher ist es immer wieder überraschend, welche „Blogger“ etwa der „Standard“ oder das Fachblatt „Der Österreichische Journalist“ herbei zitieren. Es sind Schönwetterblogs, die nichts riskieren. Keine Frage ist der Blog von Buchautor und Querdenker Robert Misik sehr gut gemacht. Er erhielt 2011 von der Fachzeitung „Der Österreichische Journalist“ die Auszeichnung „Blogger des Jahres 2010“ und veröffentlicht seine Videos auch auf derstandard.at. Fraglos: Gut gedacht und konstant gemacht. Aber: Misik macht ein Feature, manchmal einen Essay in Videoform. Dieses tut niemandem, keiner Fliege etwas. Er hat seine Fans. Gäbe es ihn nicht mehr, ist der Webnutzer die oben besagte „untreue Ehefrau“ und zieht ins nächste Gemach weiter.

Realitäten

Blogs müssen reale Ankündigungen und Festsellungen machen, Vorberichte, weiterverfolgende Nachberichte, Analysen und Einschätzungen treffen, manchmal auch hartnäckige Kampagnen führen, Serien und Episoden. Das Zusammenhängende der Epistel ergibt sich erst zum Schluss. Wann Schluss ist, weiß man nie. Diese Einstellung ist von der Überzeugung getragen, dass das Web ein offenes Archiv ist, das die Selbstprofilierungsneurose und die Fremdprofilierungsneurose bedient. Der wirklich interessierte Leser will nicht wissen, dass die Zeitung „Österreich“ von Anwalt Werner Tomanek die Storys am Silbertablett serviert bekommt und man im Gegenzug in jedem Artikel zu seinen Fällen „Top-Anwalt“ schreibt und ihn mit Bild bringt. Wenn man aber schreibt, dass dieser Anwalt „93“ Klienten einer Partie aus dem Rapid-Fansektor betreut, stimmt das eben nicht. Dann gehört aufgeklärt, welche Anwälte tatsächlich im Spiel sind und es entpuppt sich, dass eine ganze Menge involviert sind und „Österreich“ seine Leser schlicht und einfach zum Narren hält.

Das muss einmal gesagt sein: Man dachte anfangs, als Blaulicht und Graulicht als Notwehrreaktion auf schlechte Onlinemedien am 15. Jänner 2005 eröffnet wurde, dass man „die Behörden“ kontrollieren muss, weil Macht Kontrolle braucht. Man dachte nie, dass es einmal so weit kommen muss, dass man auch Medien kontrollieren muss, weil Macht Kontolle braucht.

Auf diesem Grat bewegen sich Blogs, Fachblogs, Spezialblogs. Sie gehen – wenn es gelingt – in die Tiefe, wo die Wahrheit liegt. Gelingt es, wird das auch wahrgenommen.

Einzellesenachweis im Statistikblatt. (Source: B&G intern)

Alleine am 8. August 2011 wählten 1.614 User den Artikel an. Zwischen 5. August 2011 (Online-Stellung) und heute 22. August 2011 (tiefe Nacht, 2 Uhr 26) wählten 3.771 User den Artikel rund um den Rapid-Prozess an. (Source: B&G intern)

Der Artikel über den Rapid-Prozess (Einstelldatum 5. August 2011, 20 Uhr 26 MEZ), der am 3. Oktober startet, daher die lange Einleitung, wurde bisher 3.771 Mal aufgerufen. Das ist eine ganze Menge. Fast wie in alten Zeiten, als es noch die Zentralwebseite gab.

3.771 User wählten den Artikel bisher an. (Source: B&G intern)

Auf der Blaulicht und Graulicht II war der Rekordbeitrag einer über Harald Hauke mit Titel: „Stoßzeit in der Triesterstraße“. Er wurde damals 9.982 Mal aufgerufen und knackte fast die 10.000er Marke. Ehe ein übergeschnappter Richter kam und die Seite wegmachte wie einen Fötus in der Abtreibungsklinik am Fleischmarkt. Das Recht, neben großen Medienhäusern leben zu dürfen, muss weiter erkämpft werden.

Und nun ein bisschen Musik:

Marcus J. Oswald (Ressort: Intern)

Mubarak-Prozess transparent und live – zwei Tage

15. August 2011

Richter Ahmed Rifaat leitet den Mubarak-Prozess. Am Beginn des längeren Strafprozesses steht Lähmung des Geschehens durch Anträge und Verzögerungstaktik durch die Anwälte. (Foto: Al Jazeera, 15. August 2011).

(Wien, im August 2011) Von einer neuen Seite präsentiert sich ein Land, das bisher nicht dafür bekannt war: Ägypten. Der Sender aus Quatar, Al Jazeera überträgt live im Fernsehen. Damit ist man näher an westlichen Standards als Österreich. In Österreich meint man die Presse von Prozessen gängeln und ausschließen zu müssen, man konzentriert das Geschehen auf Gerichte und ihre Säle. Live ins Fernsehen kam der letzte Prozess in den 70er Jahren. 1975 kam ein Gesetz, das den Ausschluss von TV-Kameras verbot (§ 228 StPO).

Prozesstag zwei

Anders Ägypten: Am 15. August 2011 wird der Prozess gegen Hosni Mubarak und seine beiden Söhne mit dem zweiten Prozesstag fortgesetzt. Erneut sind die Reihen im Schulungszentrum der Kairoer Polizei dicht besetzt. 600 Sitze soll der Saal haben. Manche müssen am 15. August 2011 bei Prozessbeginn um 10 Uhr 30 Ägypter Zeit (zugleich: Österreichische Zeit!) stehen. Der Live-Bericht in arabischer Sprache belegt: Es ist ein Strafprozess gegen den ehemaligen Staatspräsidenten Mubarak, bei dem offenbar zum Anfang noch alles unklar ist. Die Heerschar der Anwälte legt es zu Beginn des zweiten Tages auf Tumult an.

Der Richter ist noch nicht im Saal und schon um 10 Uhr 30 schmeisst ein Gerichtssprecher mit knarrender Stimme Anweisungen in den Raum, wonach sich alle setzen sollen. Viele Anwälte verweigern. Der Gerichtssprecher droht mit Polizei, die auch auftaucht und vermittelt. Am zweiten Prozesstag sind nur drei Angeklagte im Käfig: Der Milliardär Hosni Mubarak, der den sterbenden Schwan spielt und im Krankenbett liegt. Dazu seine beiden Söhne Alaa und Gamal, die dem Prozess stehend folgen. Einer der beiden hat einen Koran in der Hand, um seine Frömmigkeit zu demonstrieren.

Die Söhne sind nur nach Korruption angeklagt. (Foto: Al Jazeera, 15. August 2011)

Die zweite Käfig-Hälfte bleibt am 15. August 2011 leer. Dort saß am ersten Tag der Innenminister und sein Gefolge, die nun angeklagt sind. Dessen Prozess wurde abgespalten und wird am 9. September 2011 weiterverhandelt. Es scheint so, dass der Mubarak-Prozess sich nun ausschließlich die mutmaßlichen Verbrechen der drei Männer aus dem Mubarak-Clans zum Thema hat.

Gasgeschäfte mit Israel

Um 10 Uhr 35 geht die Tür auf und der Richter Ahmed Rifaat tritt mit sauber frisiertem Seitenscheitel, Lesebrille und grüner Scherpe über der rechten Schulter in den Saal. Er blickt in die Runde und die Sitzung ist eröffnet. Doch dann beginnt ein Durcheinander, denn ein Anwalt zeigt auf und gut 25 Anwälte in dunklen Anzügen drängen nach vorne zur Ballustrade, die den Verteidiger- und Publikumssektor vom Richter- und Staatsanwältebereich räumlich trennt. Ein Anwalt ergreift um 10 Uhr 38 das Wort und es ist der Staranwalt Ägyptens schlechthin. Farid El-Dieb heißt übersetzt: „Der Wolf“. Der „Wolf“ nimmt sich das Mikro und hält unter dem geduldigen Lauschen der restlichen zwei Duzend Anwälte eine zehnminütige Ansprache zum Richter auf Arabisch.

„Der Wolf“, erklärt dem Richter, dass die Gasgeschäfte des Mubarak nach seiner Ansicht nicht Gegenstand dieser Verhandlung sind, da sie erst ans Parlament delegiert gehören. Hintergrund: Mubarak verkaufte Israel ägyptisches Gas um 1.5 Dollar statt um 12 Dollar. Ägypter gerieten darob in Aufruhr, denn sie zahlen für die Einheit Gas 5 Dollar. In der Produktion kostet ägyptisches Gas 3 Dollar. Mubarak verscherbelte damit Staatressourcen „below the line“ wie man sagt, unter dem Marktpreis. Warum er das tat? Das wird ein Gericht zu klären haben.

Gut 25 Anwälte arbeiten Hosni Mubarak zu, wie man in einer Szene sehen konnte, als alle aufstanden und zum Richtertisch sprachen. Der Verhandlungssaal ist ein Vortragssaal in der Polizeiakademie Kairo. (Foto: Al Jazeera, 15. August 2011)

Die „Gasgeschichte“ erbost die Anwälte. Dieser Anklagepunkt gehört nach deren Ansicht ausgeschieden und nicht vor das Gericht. Zum anderen Punkt, die toten Demonstranten, fordert der Anwalt Farid El-Dieb von Gericht, man möge die Krankenakten beschaffen, eine genaue Dokumentation der Spitäler vorlegen und eine Auswertung der Aufzeichnungen (teilweise videotechnisch vorhanden) durch Sicherheitsbehörden beischaffen, die die Abläufe der Demonstrationen rund um den Tahrir-Platz belegen. Der Schachzug der Anwälte ist klar: So ist bekannt, dass am Tag vier und fünf (28. Februar und 29. Februar 2011) das Ägyptische Museum, das weltgrößte seiner Art, Plünderern zum Opfer fiel. Laut zuverlässigen Angaben wurden Mumien und andere Relikte altägyptischer Geschichte zerstört. Auch Exponate des Pharaos Tutanchamun wurden vernichtet. Möglicherweise geschah es, weil die Demonstranten im Gebäude den „Geheimdienst“ vermuteten, umgekehrt erschließt es sich nicht ganz, wieso im Zuge eines Machtwechsels auch historische Museumsstücke vernichtet werden müssen.

Drei Felder der Anklage

Es gibt mehrere Anklagepunkte gegen Hosni Mubarak: Ein Feld ist das Gas und damit der Vorwurf der Schädigung von Volkseigentum zu Lasten von Millionen Ägyptern. Feld zwei ist der Vorwurf, dass der Mubarak-Clan, vor allem Hosni, den Schießbefehl auf Demonstranten in den Jänner- und Februar-Tagen 2011 am Tahrir-Platz gegeben habe. Dieser Punkt betrifft nur Hosni Mubarak selbst, nicht die Söhne Alaa und Gamal, die „nur“ nach Korruption und Verschleiß von Volkseigentum angeklagt sind. Feld drei betrifft wiederum alle: Es sind staatliche Firmen in Ägypten privatisiert worden und in Reichweite und Befehlsgewalt des Mubarak-Clans gelandet. Hier ist die Korruption angesprochen.

Um 10 Uhr 50 ergreift der Richter Ahmed Rifaat das Wort: Er belehrt die Heerschar der Anwälte, dass sie berücksichtigen mögen, dass das Verfahren umfangreich ist und, dass sie jeden Antrag schriftlich einbringen mögen. Mit Reden allein komme man nicht weiter, so der Richter. Er unterbricht den Prozess um 10 Uhr 55.

Auf Al Jazeera wird dann ein Experte befragt, wie der Gesamtauftritt Mubaraks wirkt. Der Experte ist nicht davon überzeugt, dass der liegende Auftritt Sympathien schafft. Er sagt, für einen Moslem extrem selbstironisch: „We have the best soap operas in ramadan.“ Der Experte meint, Mubarak wirkt nicht krank. Er beabsichtigt nur, seinen Anklägern nicht von Angesicht gegenübersitzen zu müssen. Dadurch, dass er liegt, ist das verhindert. „Es ist ein Zirkus“, so der Experte.

Die Söhne Hosni Mubaraks stehen während des Prozesses vor ihrem Vater und decken das Blickfeld ab.

Hinzu kommt, dass die beiden Söhne wie eine Mauer vor dem Krankenbett stehen und teilweise erfolgreich verhindern, dass Kameraobjektive überhaupt sein Gesicht erfassen können. Die Abdeckung ist eine weitere Abschirmung vor dem Gericht.

Im Vergleich zu anderen Strafprozessen gegen ehemalige Staatenlenker ist die Form der Direktübertragung eine hohe Form der Transparenz. In anderen Fällen war das nicht so. Der Saddam Hussein-Prozess wurde nicht live übertragen, da der Irak damals wie heute von einer ausländischen Macht (USA) besetzt war und man Aufruhr durch Live-Bilder befürchtete. In einem ganz alten Fall, in Rumänien (heute EU-Mitglied) ging man am 25. Dezember 1989 mit Nicolae Ceaușescu so um: Man stellte ihn vor ein Militärgericht und erschoss ihn kurzerhand gleich im Gerichtssaal nach Kurzprozess.

Noch ist beim Prozess gegen den Mubarak-Clan nach zwei Tagen nichts geschehen. Um 11 Uhr, nach nur einer Stunde, wird der Prozess unterbrochen. Knapp nach Mittag tritt der Richter noch einmal auf. Er vertagt den Strafprozess auf 5. September 2011. Zugleich verkündet er, dass die Live-Übertragung des Prozesses künftig gerichtlich untersagt wird.

Der Prozess war am 3. August und 15. August 2011 im Stream unter diesem Link zu sehen.

Marcus J. Oswald (Ressort: Prozesse, Ausland)

Rapid-Fussball-Fans bald zum Vorwurf des Landfriedensbruchs vor Gericht

5. August 2011

Bosse des Rapid Wien Fanclubs Ultras in Wien vor Gericht.

(Wien, im August 2011) Der Mai ist kein gutes Datum für Rapid-Anhänger. Daher beschäftigen zwei Vorfälle aus einem Mai die Justiz. Am 21. Mai 2009 wollten Rapid-Anhänger die Konkurrenten der Austria, die von einem Auswärtsspiel in Linz mit der Westbahn heimgereist kamen, „abholen“. Dieser Fall ist nun schlüsselfertig für das Landesgericht Wien.

Vom 22. Mai 2011 wird auf jeden Fall Neues dazu kommen: Ein „Platzsturm“ vor laufenden TV-Kameras im Spiel gegen Austria Wien. Diese Sache ist aber noch lange nicht abgeschlossen und kommt irgendwann 2013 vor Gericht.

Aktion vom Westbahnhof, 21. Mai 2009

Im Oktober 2011 kommen 93 Personen aus dem Rapid-Sektor ins Landesgericht. In den Medien geistern – auf Grund dessen privat guter Kontakte in die Zeitung Österreich – stets Gerüchte, dass allein der Wiener Verteidiger Werner Tomanek „alle 93“ vertritt. Tomanek hat zwar von Fussball wenig Ahnung, schwarwenzelte aber im Umfeld des Peter Pacult auch bei Rapid stets im VIP Club herum, um zu Klienten zu kommen. Fakt ist: Tomanek vertritt keineswegs „alle 93“: Das wäre rechtlich auch nicht möglich, da es nach der Strafprozessordnung ein Mehrvertretungsgebot gibt, das einem Anwalt untersagt, mehr als drei Personen in ein und demselben Strafverfahren zu vertreten.

Die Angeklagten von Westbahnhof, die diesem Journal namentlich bekannt sind, sind unten gelistet. Es sind Rapid-Fans, die nach mehreren Paragrafen angeklagt sind: §§ 83 Abs 1 ff, 125 ff, 269 Abs 1, 274 Abs 1, 2 u.a. StGB. Auf deutsch erfasst es diese Themenkreise: Körperverletzung, Sachbeschädigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Landfriedensbruch.

Der § 274 kommt selten vor Gericht. 2004 standen 13 Rapid-Fans wegen eines Platzsturmes nach diesem Paragrafen vor Gericht. Beim Westbahnhof-Fall aus Mai 2009 verließen die Rapid-Anhänger den Rahmen des Spielfeldes und sahen den Westbahnhof als Kampfzone für ihren Konflikt mit den gegnerischen Austria-Fans.

171 Rapid-Fans sollen am Bahnhof auf die aus Linz kommenden Austria-Anhänger gewartet haben, so die 78 Seiten lange Anklage. Zwei der anfänglich 16 Polizeibeamten sollen verletzt worden sein. Der Sachschaden bei der ÖBB soll geringe 6.500 Euro betragen. 93 Angeklagte wurden in die Liste aufgenommen.

Der § 274 (Landfriedensbruch) entsteht durch die „Zusammenrottung von Personengruppen“, die die Absicht verfolgen, den „öffentlichen Frieden“ aus dem Gleichgewicht zu bringen. Führende Teilnahme, also Teilnahme in führender, aufstachelnder Position steht mit bis zu drei Jahren Haft unter Strafe. Die Menschenmenge muss mehr als 100 Personen umfassen.

Der Rapid Fan Club „Ultra“, der derzeit rund 500 Mitglieder zählt, hat Support für den Prozess wie bei einem Bundesliga-Spiel angekündigt.

Unter den Angeklagten befindet sich der Chef der „Ultras“, nämlich Oliver Wolfgang Pohle.

1. Oliver Wolfgang Pohle (Capo der „Ultras Block West 1988“)
2. Martin Wildner
3. Kevin Christopher Carsten Castka
4. Christoph Neundlinger
5. Jakub Czyz
6. Robert Reithofer
7. Thomas Ring
8. Lukas Stöger
9. Manuel Günther
10. Alexander Prechtl
11. Siegfried Singer
12. Manuel Neppl
13. Florian Unger
14. Raffael Jasinski
15. Thomas Christoph Rothböck
16. Sascha Peter Schuster
17. Walter Rehberger
18. Dietmar Mair
19. Michael Benedek
20. Bogdan Bubalo
21. Benjamin Frederick Hatz
22. Roland Holeis
23. Robert Strempfl
24. Manuel Lilak
25. Marco Konrad Rakowitz
26. Gerhard Josef Franz Kutschy
27. Max Patrick Gödl
28. Robert Brekalo
29. Mario Wittek
30. Christoph Spirek
31. Gerhard Bartl
32. Bernd Brückl

Die Anwälte der Rapid Wien

Folgende Anwälte sind involviert (nach Stand heute, 5. August 2011): Einige Angeklagte haben nur einen Pflichtverteidiger (Armenanwalt). Die unten genannten Anwälte sind Wahlverteidiger der prominentesten Angeklagten aus der Rapid-Capo-Szene. Ein Verfahren über den langen Zeitraum von mehr als 30 Verhandlungstagen kostet jedem Anklagten auf Schöffenprozessebene – was es ist – mindestens 30.000 Euro pro Mann und Nase. Wenngleich durch die Mehrfachvertretungen die Herrn Starverteidiger natürlich „mit dem Preis entgegen kommen“.

Mag. Nikolaus Rosenbauer vertritt Ultras Block West 1988-Chef Oliver Wolfgang Pohle.
Dr. Johannes Pepelnik vertritt Martin Wildner.
Mag. Roland Friis vertritt Christoph Neundlinger, Manuel Neppl und Florian Unger.
Ex-Kanzleipartner von Dieter Böhmdorfer, Dr. Franz Pechmann vertritt Jakub Czyz, Robert Brekalo und Mario Wittek.
Mag. Werner Tomanek vertritt Siegfried Singer, Raffael Jasinski und Walter Rehberger.
Mag. Johannes Schmidt vertritt Roland Holeis.
Dr. Rudolf Mayer vertritt Robert Strempel und Manuel Lilak.
Mag. Hubert Hohenberger vertritt Gerhard Josef Franz Kutschy.
Dr. Helge Dozecal vertritt Max Patrick Gödl.

Es sind (bis zu) 37 Verhandlungstage geplant. Das ist Zukunftsmusik. Da es am Landesgericht Wien immer darauf ankommt, wieviele Zeugen tatsächlich erscheinen. Und wieviele fernbleiben. Auf diese wird dann nach einmal Nachhaken stets verzichtet. Meist verkürzen sich Lang-Prozesse dadurch gegen Ende erheblich.

Diese 26 Verhandlungstage, die „Blaulicht und Graulicht“ vorliegen, sind bereits fixiert:

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Prozess gegen Rapid-Fans rund um die Gruppe „Ultras“, Tatort Westbahnhof, Tatzeit 22. Mai 2009:

  • Landesgericht Wien, Landesgerichtssstraße 11, 1082 Wien.
    3. Oktober 2011, 9 Uhr 00, Großer Schwurgerichtsssaal. § 83 ff StGB (Körperverletzung), §§ 125 ff (Sachbeschädigung), 269 Abs 1 (Widerstand gegen die Staatsgewalt), 274 Abs 1 und 2 (Landfriedensbruch), u.a.
    Geschäftszahl: 143 Hv 92/10p
    Richterin: Mag. Martina FRANK
    Angeklagte: 93 Stück (siehe oben Liste der 32 wichtigsten)
    PBV: ÖBB (Sachschaden), Polizei (Personenschaden).
    Prozessdauer voraussichtlich: 37 Tage.

Bekannte Prozesstage (die ersten 26 Prozesstage):

  • 3. Oktober 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 4. Oktober 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 6. Oktober 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 7. Oktober 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 10. Oktober 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 11. Oktober 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 13. Oktober 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 24. Oktober 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 25. Oktober 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 4. November 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 7. November 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 8. November 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 11. November 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 14. November 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 15. November 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 16. November 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 19. Dezember 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 20. Dezember 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 21. Dezember 2011 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 9. Jänner 2012 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 10. Jänner 2012 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 12. Jänner 2012 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 13. Jänner 2012 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 23. Jänner 2012 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 24. Jänner 2012 (9 Uhr bis 16 Uhr)
  • 26. Jänner 2012 (9 Uhr bis 16 Uhr)

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Alle Angeklagten sehen sich nicht schuldig im Sinne der Anklage. Doch Achtung: Es sind Anwälte darunter, die im Ruf des „Geständnisanwalts“ stehen. Rudolf Mayers Kanzlei (er selber und sein Partner Winkler) betont in Strafprozessen am Landesgericht Wien immer, dass man „für Geständnisse“ im Sinne der Verfahrensökonomie „bekannt ist“: Fast verwendet man es als „Trademark“. Natürlich kommt am Ende ein mildes Strafmaß heraus, doch Geständnis ist Geständnis und Kniefall vor der Exekutive.

Andere Anwälte wie Roland Friis sind bekannt dafür, dass sie mit präziser Akten- und Verfahrenskenntnis eben kein Geständnisanwalt sind und harter Gegner für Staatsanwälte, die einen Luftballon steigen lassen wollen und alle in einen Topf werfen.

Es wird also sehr unterschiedlich ausgehen. Es wird viele Freisprüche geben und Beweisschwierigkeiten wie immer bei einem Massentumult. Da es ein „strittiges Verfahren“ ist, gibt es die lange Verfahrensdauer. Das ist auch einer der Tricks am Strafgericht: Der Richter macht ab Beginn schmackhaft, doch ein Geständnis abzulegen, damit der Prozess kurz wird (und nicht viel kostet). Ein weiteres Druckmittel ist bei Strafprozessen die U-Haft. Dieses Mittel der staatlichen Erpressung des Bürgers wurde im „Westbahnhof-Fall“ jedoch nicht angewandt.

Der Prozess wird im Großen Schwurgerichtssaal abgewickelt, der 150 Sitzplätze umfasst, weil dort Platz ist, nicht wegen der Schwere der Vorwürfe. Formal läuft der Prozess nach Jugendstrafgesetz (JGG), da einige Mitwirkende noch nicht das Erwachsenenalter erreicht haben.

Hauptangeklagter ist Ultras-Boss Oliver Wolfgang Pohle, der eine offene Vorstrafe von 12 Monaten bedingt hat – eben nach Landfriedensbruch – und der von der Staatsanwaltschaft Wien trotzdem nicht nach Tatbegehung oder Wiederholungsgefahr in U-Haft genommen wurde, obwohl er vermutlich jedes Wochenende im Stadion und damit am Ort des Geschehens steht.

Marcus J. Oswald (Ressort: Prozesse, LG Wien)